Schlösser, Burgen, Kirchen: sie alle sind durch internationale Abkommen geschützt. Weltkulturerberegionen wurden geschaffen. Alles umschrieben als materielles Kulturerbe – als im wahrsten Sinne des Wortes: zum Angreifen.

Doch unser Leben besteht mehrheitlich aus Vergänglichem: aus Tun, aus Erleben, aus Wissen, aus Lernen, aus „Pfachtl“, aus Reden, Singen, Musizieren, Gestalten: Umschrieben wird dies alles als Immaterielles Kulturerbe.

Die UNESCO, welche im Oktober 2003 eine Konvention zum Schutz des immateriellen Kulturerbes verabschiedet hat, umschreibt die Ziele:

  • Schutz des immateriellen Kulturerbes
  • Sicherung des Respekts vor dem immateriellen Kulturerbe und den betreffenden Gemeinschaften, Gruppen und Individuen
  • Förderung des Bewusstseins für die Bedeutung des immateriellen Kulturerbes als identitätsstiftender Faktor gesellschaftlicher Entwicklung und seiner gegenseitigen Wertschätzung auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene
  • Förderung der internationalen Zusammenarbeit und Unterstützung

Kriterien für Immaterielles Kulturerbe:

  • Weitergabe von Generation zu Gerneration
  • Ständige aktive Neugestaltung von verschiedenen sozialen Gruppen und Kollektiven in Bezug auf ihre Umwelt und Geschichte
  • Förderung des Selbstbewusstseins und das Gefühl der Sicherheit bzw. Beständigkeit

Themenbereiche des immateriellen Kulturerbes:

  • Mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen: Lied, Musik, Tanz, Rituale, Sprache (Dialekt, Fachsprache, …)
  • Darstellende Künste: Kleinkunstbühnen, Laienspiel, Zirkus, Straßenkunst, Medien, Zeichnen, Malen, Schnitzen
  • Gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste: Lokales, Regionales, Öffentlicher und kirchlicher Brauch, Jahresablauf, Lebenslauf, Stände und Berufe, Vereine, Genossenschaften, Bünde, Parteien, Sport, Spiel, Freizeit
  • Wissen und Praktiken im Umgang mit der Natur und dem Universum – lokales Wissen: Alltagswissen (Botanik, Zoologie, Wetter, Sterne,…) Religion – Esoterik – Spiritualität, Traditionelle Medizin (inkl. Hygiene, Sexualiät, Tod), Land- und Viehwirtschaft (Almwirtschaft, Waldbau, Wein- und Gartenbau, Landnutzung), Bergbau (inkl. Verarbeitung – Salinen- und Hüttenwesen), Kalender, Zeitrechnung, Maße, Gewichte, Geld; Nahrung (inkl. Tischsitten, Genussmittel, …); Sammelwirtschaft, Jagd, Fischerei, Vogelfang, Imkerei, Beeren, Pilze, Kräuter; Wissen um natürliche Ressourcen (Holz, Wasser, Wolle, Nahrung, Minerale, …), Entsorgung, Wiederverwertung, Energienutzung;
  • Fachwissen über traditionelle Handwerkstechniken (inkl. Kochen und Konservierung): Material- und Gerätekunde, Verarbeitungswissen, Anwendungswissen.

 

Ein paar Gedanken zum Immateriellen Kulturerbe:

Liebe BesucherInnen dieser Seiten!

Wie die Seele den aus Fleisch und Blut bestehenden Menschen zum Leben erweckt, so wird auch erst durch das ungreifbare immaterielle Kulturgut eine Region, ein Kulturkreis und eine Gemeinschaft zum Leben erweckt.

Obwohl selbst unsichtbar, macht es Sichtbares erlebbar.

Die 2003 von der UNESCO verabschiedete Konvention zum Schutz des immateriellen Kulturgutes, welcher Österreich 2009 beigetreten ist, will dieses nur sehr schwer fassbare Kulturgut ins Bewusstsein bringen.

Wesentliche Merkmale sind:

Beständigkeit und Nachhaltigkeit: Kulturgut kann nicht "Verordnet" werden, weder durch Gesetze noch durch kurzlebige Modetrends. Erst wenn es durch mehrere (mindestens 3) Generationen gelebt und weiter gegeben wird, bekommt es eine wirkliche kulturelle Bedeutung. Dabei geht es nicht darum, ob Kulturgut "alt" ist. Es geht um Langlebigkeit, Gelebtheit und Weiterentwicklung.

Identitätsstiftend: Immaterielles Kulturgut bestimmt Handlungen, Verhalten und nicht zuletzt das Aussehen einer Gesellschaft: sei es eine Region, welche erst im Zusammenspiel zwischen Natur, geschichtlicher Entwicklung und dem immateriellen Kulturerbe zu dem geworden ist, was sie heute darstellt, oder einer Interessensgemeinschaft, wie Handwerksgilden, welche erst durch die langjährige und Generationen übergreifende Weitergabe und Weiterentwicklung ihres Wissens und Könnens die heute möglichen Spitzenleistungen vollbringen können.

Lebendigkeit: immaterielles Kulturgut kann man nicht konservieren. Es muss ständig ausgeübt, muss gelebt werden. Denn ist es einmal weg, so kann man es nicht wieder beleben. Es muss neu begründet (geboren) werden und es braucht wieder eine lange Zeit, bis es als Kulturgut eine Menschengemeinschaft prägt.

Legalität: die Gesellschaft spiegelt sich nicht zuletzt in ihrem immateriellen Kulturgut. Das gilt auch für die von ihr aufgestellten Normen. Es ergibt keinen Sinn, Kulturgut, welches von der Gesellschaft abgelehnt, ja sogar mit Strafen bedroht wird, zu fördern. Das ist jedoch kein Hindernis für eine Weiterentwicklung, da sich die Normen und deren ständiger Neufestlegung nicht zuletzt am immateriellen Kulturgut widerspiegeln. Gegenüber der Gesellschaft muss immaterielles Kulturgut sehr wohl vor zeitgeistiger Intoleranz geschützt werden.

Chancen und Möglichkeiten:

Erkennen der Vielfalt & Angebot: Durch das sichtbar und erkennbar machen des Könnens, der Eigenheiten und des Wissens kann jeder seine Interessen wecken ("nur was man kennt, kann man beurteilen und nutzen"). Je breiter die Listung und Sichtbarmachung fortschreitet, desto mehr Menschen können sich wieder finden. Dadurch entsteht ein großes Angebot, was garantiert, dass jene Menschen das immaterielle Kulturgut weiter tragen, welche sich am besten damit identifizieren.

Selbstbewusstsein & Toleranz: Wenn Menschen das für sie Richtige und Beste gefunden haben, so stärkt dies das Selbstbewusstsein. Das wiederum erzeugt eine höhere Toleranz für andere Kulturgüter. Neid und Missgunst wird durch Neugier ersetzt.

Touristische Optimierung & Förderung der vorhandenen Stärken: Wenn ich die regionalen identitätsstiftenden Eigenheiten herausfiltre und gut dokumentiere, so kann ich die vorhandenen Stärken fördern und eine Region im touristischen Bereich besser positionieren. Es entsteht keine aufgesetzte Folklore oder touristischer Einheitsbrei, was wiederum die Identifizierung der Bevölkerung mit dem touristischen Angebot einer Region verbessert. Das erhöht die Attraktivität einer Region und vermindert Abkapselungserscheinungen der ansässigen Bevölkerung. Man verliert das Gefühl der Prostitution und des "verkauft werdens": man geht aufeinander zu. Als Folge entstehen attraktive und hochwertige Arbeitsplätze.

Das immaterielle Kulturgut ist eine große Chance in gesellschaftspolitischer, kulturpolitischer und wirtschaftspolitischer Hinsicht: es (er)fordert die Aktivität jedes Einzelnen. Je mehr teilnehmen, desto besser wird die kulturelle Stärke. Passivität ist nicht möglich.

Aktive Menschen sind zufriedener und toleranter: Reibungsverluste werden vermindert, Selbstachtung und Wertschöpfung steigen.

Ludwig Wiener, Obmann IKES